Stolperstein Ernst Ender in Bottrop I Interview mit Sahin Aydin, Initiator, Stadthistoriker & Autor I +Säuberungsaktion zur Ehrung I +Videos I +Podcast I Sonderfolge #3 „Stolpersteine Ruhrgebiet“

Ernst Ender war eine schillernde Person seiner Zeit. Er setzte sich immer für seine Kollegen und Kumpels ein. Er war Arbeiter und Gewerkschafter. Er war in drei Parteien umtriebig: SPD, USPD (Unabhängige Sozialistische Partei Deutschland) und SAPD (Sozialistische Arbeiter Partei Deutschland). Seine Politik war immer Sozialismus, war aber nie Mitglied der KPD (Kommunistische Partei Deutschland).

Er war Aktivist im Bergarbeiterstreik von 1912, Mitbegründer der SPD in Osterfeld, auch revolutionär im Arbeiter- und Soldatenrat in Bottrop tätig nach dem ersten Weltkrieg. War im „Vollzugsrat“ gegen den Kapp-Putsch im Jahr 1920. Er war Mitbegründer der Bottroper SAPD-Partei und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten (NSDAP) im Widerstand und dadurch auch als Politischer Häftling in Buchenwald gelandet.

Zur Würdigung und Ehrung von Ernst Ender und seinem ihm gewidmeten Stolpersteins bin ich mit Sahin Aydin zusammengekommen, nicht nur über sein Buch geschriebenes Buch über Ernst Ender zu sprechen, sondern den Stolperstein auch zu säubern und zu gedenken.

Videopodcast:

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Würdigung und Säuberungsaktion

Lange Fassung:

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Ernst Ender war ein Schlichter, ein Vermittler und gewandter Redner. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er von den Alliierten als Oberbürgermeister in Bottrop eingesetzt. Durch einen Unfall musste er sein Amt jedoch nach acht Monaten wieder niederlegen. In dieser schweren Neuanfangszeit, wo kurz vorher noch eine faschistische Diktatur regiert hatte, war er mit Sicherheit durch seine politische Lebenserfahrung der richtige Mann an der richtigen Stelle, um zu vermitteln und die Stadt neu aufleben zu lassen, noch bevor überhaupt die Bundesrepublik gegründet wurde. Sein Wirken wurde bisher wahrscheinlich stark unterschätzt.

Sahin Aydin, der Bottroper Lokalhistoriker, traf zufällig bei Recherchen über den Rathaussturm in Bottrop von 1919 auf Ernst Ender. Nach dem Abschluss der Forschung und das Buch über Alois Fulneczek arbeitete er an einer Biographie über Ernst Ender. Er fand nicht nur heraus, dass er im Widerstand gegen die Nationalsozialisten war, sondern dadurch auch in einem KZ als Politischer Häftling landete, aus dem er glücklicherweise lebendig herauskam.

Am 9.11.2021 ließ er mit Unterstützung des Vereins „7 Freunde e.V.“ den Stolperstein für Ernst Ender an seiner letzten Wohnstätte, Fuchsstraße 2, verlegen. Ein halbes Jahr darauf meldete sich ein Stiefsohn. Er übergab Sahin Aydin weitere Unterlagen und Fotos, die er für die Erstellung des jetzt erschienenen Buches verwenden konnte. Ein Exemplar wurde dem amtierenden Oberbürgermeister Bernd Tischler überreicht.

Das Leben Ernst Enders beinhaltet eine reichhaltige spannende politische und kämpferische Geschichte. Er setzte sich immer für ein soziales Miteinander, für mehr Mitbestimmung und für die „kleinen“ Menschen ein. Ernst Ender muss eine besondere Persönlichkeit gehabt haben, die wahrscheinlich herzlich und offen gewesen sein musste. Das gebürtige am 4.7.1881 geborene Thüringer in Haina/Stadt Römhild nach dem Zweiten Weltkrieg Oberbürgermeister von Bottrop werden würde, hatte er Zeit seines Lebens bestimmt nicht geahnt.

Bis dahin floß viel Wasser durch die Emscher. Sein Arbeitsleben begann in einer Ziegelsteinfabrik in Thüringen. Dort hatte er die erste Berührung mit der hohen Politik beim Beitritt in die Gewerkschaft. Dann lockte das Ruhrgebiet mit höheren Löhnen.

So zog er 1900 nach Sodingen (heute Stadtteil von Herne), wo er am 25.6.1904 seine Freundin Karoline Schwertmann aus Verl heiratete. Nach fünf Jahren als Hauer auf Zeche „Mont-Cenis“ ging das Ehepaar nach Hamborn (heute Stadtteil von Duisburg). Die Schachtstraße wurde damals „Klein-Warschau“ genannt, weil dort viele Polen wohnten, arbeiteten und ihre Sprache bewahrten. Dort trat er in den Bergarbeiter-Verband ein und arbeitete auf der Zeche „Deutscher Kaiser“ (heute noch bekannt als Zeche „Friedrich Thyssen“).

Short zum Buch:

Ernst Ender – Ein Sozialist wird Bottroper Oberbürgermeister:

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Der Thüringer Ernst Ender kann nun als echter Ruhrgebietler bezeichnet werden. Denn nach Herne und Duisburg, landete er für ein Jahr in der Zeche „Graf Moltke“ in Gladbeck – Butendorf. Dann lockte die Zeche „Osterfeld“ wahrscheinlich mit mehr Lohn. Dann passierte etwas Entscheidendes in seinem Leben: Er politisierte sich immer mehr! Er wollte etwas bewegen für die Menschen.

Er gründete 1911 den SPD-Ortsverband. Das Kaiserreich beäugte die SPD als mögliche Umsturzpartei, immer noch sehr argwöhnisch. So wurde auch Ernst Ender überwacht. Das hielt ihn nicht davon ab beim größten Bergarbeiterstreik, den das Deutsche Kaiserreich je erlebte, im März 1912 als Streiksprecher zu unterstützen. Er kämpfte mit den Streikenden für eine Achtstunden-Schicht. Das ist heute über 100 Jahre kaum vorstellbar. Die junge Generation weiß nicht unter welchen schrecklichen Zuständen in der Zeit der Industrialisierung und Bevormundung des monarchischen Staates gearbeitet wurde.

Und sie weiß auch nicht, das dieser Arbeitskampf einer der Ursprünge aller zukünftigen Arbeitskämpfe war, die zum heutigen Wohlstand in ganz Deutschland wurde. Heute zehren wir von einem Achtstunden-Tag und zwei freien Wochentagen. Damals üblich waren 10 oder 12 Stunden an sechs Tagen die Woche unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Arbeitsschutz gab es so gut wie nicht!

Umso wichtiger waren die Streiks auf die missliche Lage hinzuweisen. Doch der große Bergarbeiterstreik mit seinen entsprechenden Forderungen war eine sehr gefährliche Angelegenheit. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. forderte den preußischen Innenminister auf mit Militär und Polizei scharf schießen zu lassen. Dem Kaiser waren sozialistische Umtriebe ein Dorn im Auge. Vier Arbeiter starben. 2000 Arbeiter wurden angeklagt. Ernst Ender wurde in Osterfeld entlassen.

Ernst Ender gab jedoch nicht auf. Er hatte eine Verantwortung für seine Familie, denn er hatte seine Frau und bald vier Kinder zu ernähren. Am 2.5.1912 landete er auf der Zeche Rheinbaben in Bottrop, wo er auch mit Unterbrechungen durch einen Unfall während des Ersten Weltkriegs bis 1932 arbeitete. Dort wurde er in den Betriebsrat gewählt. In Bottrop wurde sein Leben noch umtriebiger und belebter durch die revolutionären Zeiten, die folgten nach der Gründung der Weimarer Republik. 1918 wechselte er von der SPD in die abgespaltene mehr linksgerichtete USPD ein und unterstützte den Arbeiter- und Soldatenrat (ASR) als Leiter der Sicherheitswehr von Bottrop. Er blieb in der Situation jedoch immer auch ein Schlichter und Vermittler zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen.

Beim brutalen „Rathaussturm“ in Bottrop in der Nacht vom 17./18.11.1919 durch den Freikorps Lichtschlag geführt von Wilhelm Höffer von Loewenfeld, wo nach Aydins Forschungen mehr als 120 Menschen umgekommen sind,  wurde Ernst Ender festgenommen. Ender wurde entlassen. Er kandidierte anschließend als Mitglied der USPD  für den Bottroper Gemeinderat und bekam einen der vier Sitze.

1931 gründete er mit Alois Saffert die Ortsgruppe der SAPD (Sozialistische Arbeiter Partei Deutschlands) in Bottrop. Eine mehr links liegende Partei von der SPD. Das allerdings war später für die NSDAP nach ihrer Machtergreifung ein Dorn im Auge. Nach seiner Entlassung als Invalide aus der Zeche „Rheinbaben“ und die folgende Nazi-Übernahme der Stadt 1933, war Ernst Ender entschlossen in den Widerstand zu gehen. Er unterstütze Flugblattaktionen. Am 13.4.36 wurde er verhaftet, in der Duisburger Strafanstalt eingesperrt zur Strafanstalt Herford überstellt.

Am 9.7.36 wurde er als Hochverräter verurteilt zu einem Jahr und acht Monate Zuchthaus. Nach seiner Entlassung am 10.1.38 wurde er nur einen Monat später erneut verhaftet und zum Konzentrationslager Buchenwald als Politischer Häftling überstellt mit der Häftlingsnummer 1082. Glücklicherweise wurde Ernst Ender am 18.2.1941 entlassen und schaffte es die Macht der Nazis zu überstehen.

Nach dem zweiten Weltkrieg entschied sich Ernst Ender, genauso wie Willy Brandt, wieder in die SPD einzutreten, weil das Programm sich von den Parteien kaum unterschied.

Die Alliierten setzten Ernst Ender als erfahrenen Schlichter, Redner und Politiker als ersten Oberbürgermeister von Bottrop ein. Durch einen Autounfall allerdings musste er seine Arbeit nach 8 Monaten abbrechen.

Seine restliche Lebenszeit nach dem Tod seiner Frau Karoline verbrachte er mit Elisabeth Grossinski, die 1959 heiratete.

1958 bekam Ernst Ender ein Bundesverdienstkreuz für sein ablehnendes Verhalten gegenüber der NSDAP und seine Verdienste als Politiker der Stadt Bottrop.

Am 20.6.1963 starb er und wurde in allen Zeitungen und von Politikern gewürdigt für seine Arbeit als Gewerkschafter und Politiker.

Am 3.2.1978 hat die Stadt Bottrop die ursprüngliche Raiffeisenstraße in „Ernst-Ender-Straße“ umbenannt, um ihn eine besondere Würdigung zu geben. Die Straße führt an seinem letzten Wohnhaus Ecke Fuchsstraße 2, dran vorbei.

Der Stolperstein ist ein besonderer Stein für eine besonderen Menschen, der als besonnener Vermittler, als Helfer für Kumpels, als Mensch im Kampf um die Freiheit gegen die Diktatur der Nazis steht.

Sahin Aydin hat mit seiner Ernst-Ender-Biographie und dem Initiieren des Verlegens des Stolpersteins eine wichtige über die Stadtgrenzen hinaus wichtige Entscheidung und Arbeit getan.

Sahin Aydin mit seiner Biographie über Ernst Ender – Ein Sozialist wird Bottroper Oberbürgermeister

 

Nie wieder ist Jetzt! 

Es zeigt, dass es Mutige geben muss, um in der Zeit von populistischer Politik aufzustehen und Widerstand zu leisten. 

Zuzuhören, schlichten und vermitteln gehören dazu. 

Das konnte Ernst Ender mit Sicherheit in seinem langen bewegten Leben!

Ruhe in Frieden!

Glück auf!

Quelle: Sahin Aydin: Ernst Ender – Ein Sozialist wird Bottroper Oberbürgermeister

Wichtige Links

Zum Buch:
Sahin Aydin: Ernst Ender – Ein Sozialist wird Bottroper Oberbürgermeister
https://shop.tredition.com/booktitle/Ernst_Ender_Ein_Sozialist_wird_Bottroper_Oberb%3frgermeister/W-119-797-712

Softcover – ISBN: 978-3-347-51545-1
Hardcover – ISBN: 978-3-347-51548-2


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Zum Autor/Lokalhistoriker:
https://www.sahinaydin.de/
Email: sahinaydin1968@googlemail.com
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Zur Information des Stolperstein vom Stadtarchiv Bottrop:
https://www.bottrop.de/kultur-und-bildung/stadt-_und_zeitgeschichte/stolpersteine/ernst-ender.php
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Greeter Gruppe Bottrop – Kostenlose Führungen durch Bottrop
https://www.deutschland-greeter.de/bottrop/
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Weitere Informationen und Videos zur Würdigung in der Rubrik Stolpersteine, auch Führungen der Greeter Gruppe Bottrop:
www.ruhrpottologe.de
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+Videopodcast I +Podcast I +Fotogalerie I Jürgen Jakubeit – der letzte Steinkohle-Bergmann Deutschlands

Jürgen Jakubeit trug am 21.12.2018 den letzten großen Steinkohlebrocken aus dem Förderkorb des Bergwerks Prosper Franz Haniel. Mit einem traurigen Gefühl in der Magengrube übergab er ihn dem Bundespräsidenten Franz-Walter Steinmeier. Der „letzte“ Steinkohle-Bergmann Jürgen Jakubeit liebte seinen Beruf mit Haut und Haaren, den er jetzt auf seiner letzten Schicht verlassen musste.
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Videopodcast mit Fotos vom Gelände Prosper-Haniel und Trainingsbergwerk Recklinghausen inklusive Schweigeminute am Ende für die Bergleute, die im Laufe der Jahrzehnter gestorben sind.

„Zwei Tage lang wurde geprobt. Die Ruhrkohle hat nichts dem Zufall überlassen,“ so seine Aussage im Podcast. Doch dann kam der Stichtag und alles ist anders. Das Proben hat geholfen die zitternden Hände ruhig genug zu halten, aber die Gefühle gehen nicht nur ihm an dem Tag durch Mark und Bein. Viele Kumpels hatten Tränen in den Augen. Niemand konnte sich wehren gegen die Entscheidung der Politik, die sich gegen den weiteren teuren Abbau der Steinkohle entschieden hat in der Zeit, wo Klimawandel noch nicht in allen Ohren lag.

Tausende Menschen, viel Prominenz und jede Menge Kameras aus aller Welt waren da, die Jürgen beobachteten bei der Übergabe. Wäre der Steinkohlebrocken gefallen, wäre es ein großes Unglück gewesen. Das letzte Stück schwarzes Gold von allein über 160 Jahre Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet wäre am Boden zerschellt gewesen. Allerdings wäre es dann symbolisch in die Geschichte eingegangen, denn der deutsche Steinkohlebergbau hatte in den letzten siebzig Jahren so oder so einen schleichenden Niedergang hinnehmen müssen.

Nur ein Gegenbeispiel zur Veranschaulichung: Allein Bochum war weltweit 1929 die Stadt mit den meisten Zechen der Welt auf einem Stadtgebiet. Schon 1973 schloss das letzte Bergwerk „Zeche Hannover“, die heute mit dem innovativem Festungscharakter, die 100 Jahre zuvor entstand, museal genutzt wird im Stadtteil Hordel.

Nach Norden hin bis ins Münsterland bei Ibbenbüren entstanden neue Bergwerke, die in mehr als 1 km Tiefe Steinkohle abgebaut haben. Doch das wurde zu teuer. Zusätzlich wurden die Subventionen in einer Zeit gestrichen, wo der teure Deutsche Bergbau nicht mehr im weltweiten Konkurrenzkampf mithalten konnte.

Kleine Bergwerke wurden einem Verbundbergwerk zusammengeführt oder geschlossen. Für Bergleute, wie Jürgen Jakubeit, hieß es im Laufe des Bergmannlebens mehrmals weitere Pendlerwege hinzunehmen und neue Kumpels kennen zu lernen. So lief es bis in die 1950er Jahre nie. Die Bergleute hatten ihre Wohnungen in den Zechenhäusern und Siedlungen direkt vor dem Bergwerk. Der Fußweg zur Arbeit war kurz. Doch die ersten Schließungen nach dem zweiten Weltkrieg und in der Zeit der Ölkrise 1973 hatten jeden Bergmann zum Umdenken gezwungen. Zur Schicht kam man dann mit dem Auto oder Werksbus.

Der letzte Steinkohlebrocken liegt nun im Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten als Andenken an die wichtige Zeit, wo Steinkohle gebraucht wurde. Nach seiner Amtszeit kommt die letzte Steinkohle ins Haus der Geschichte nach Bonn.

Die Steinkohle ist ein wichtiges historisches Element der jüngeren deutschen Geschichte. Nicht nur Privathaushalte haben sich damit den Hintern gewärmt. Nein, komplette Industriestrukturen und die Bahn und erste Infrastrukturen der Verkehrswege, wie auch die Binnenschifffahrt hat von der Steinkohle profitiert. Ein bitterer Beigeschmack sind jedoch zwei Weltkriege, unter anderem auch mit Zwangsarbeitern Untertage, ohne Steinkohle nicht durchführbar gewesen.

Durch die Steinkohle entstand der wirtschaftliche Aufschwung eines Agrarlandes zu einem Industriestaat, wie es die Welt so noch nicht gesehen hat. Weg von der Kleinstaatennation entstand das Deutsche Reich 1871 mit einem Kaiser an der Spitze. Ohne die Steinkohle wäre Deutschland heute nicht das, was es jetzt ist. Ohne den Bergbau wäre das Ruhrgebiet kein Ruhrgebiet, sondern hier würden immer noch Bauerndörfer mit kleinen Stadttoren stehen, die eventuell ein wenig Tourismus mit Fachwerkhäusern hätten, wie Hattingen heute noch aussieht.

Paradoxerweise gibt’s auch über die Generationen hinweg immer noch die alteingessenenen Bauernhöfe im Ruhrgebiet, während die Bergwerke schließen mussten.

Durch die aktuelle Geschichte des Krieges in der Ukraine und die unabhängige Energiesituation Deutschlands, die in den Podcast (aufgenommen im Jahr 2022 und leider wegen wichtigen privaten Dingen, die vorgingen, nun im Juni 2023 veröffentlicht!) einfließen gibt es weitere mehrere Nachteile zu nennen, die mit der Schließung einhergegangen sind: Zum einen die Situation, dass wenn die Grubenwasserpumpen aufhören würden zu arbeiten, würde das Ruhrgebiet das Venedig des Nordens werden und nur noch per Boot erreichbar sein. Der Bergbau hat das Ruhrgebiet zum Absaufen verurteilt. Die Pumpen dürfen nie aufhören zu arbeiten. Zumindest ist das ein sehr sicherer Arbeitsplatz im Gegensatz zum Bergmann geworden.

Zum anderen sind Bergbauschäden immer wieder da und beschädigen Gebäude und Straßen. Die Kosten zur Instandsetzung gehen über Jahrzehnte ins Unermessliche, was den Bergbau in Misskredit fallen lässt. Auch hier ist die Fachkraft im Baugewerbe einmal mehr im Ruhrgebiet gefragt!

Im Bottroper Stadtteil Grafenwald gibt es einen großen Höhenverlust. Im angrenzenden Naturschutzgebiet „Köllnischer Wald“ ist plötzlich durch die Überraschung einer großen Bergsenkung der „Weihnachtssee“ entstanden. Niemals ist früher gewagt worden öffentlich darüber zu sprechen, weil der Bergbau der Region Arbeit, Brot und die Infrastruktur der Städte gebracht hat.

Doch genau jetzt in der energetischen Weltkrise durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine merkt Jürgen an, dass es wichtig gewesen wäre, trotz der Klimadiskussion an der Steinkohle festzuhalten. Sie wäre jetzt eine sichere Alternative gewesen, als gleichzeitig neben der Nichtinbetriebnahme von der Gaspipeline Nordstream II und Abschaltung der Atommeiler in Deutschland, trotzdem Steinkohle importiert werden musste, um die Energiesicherheit zu gewährleisten.

Jürgen betont, dass die Übergangslösung ruhig hätte länger gemacht werden können, um sich nicht komplett vom Ausland abhängig zu machen. Deutsche Steinkohle trotz aller Widrigkeiten und negativen Folgen hätte für die nächsten mindestens zehn Jahre eine sinnvolle Ergänzung bis zum kompletten Umbau mit regenerativer Energie sein können. Und ich als früherer Umweltschützer der Umweltgruppe Robin Wood und alter Ruhrgebietler sehe es genauso. Steinkohle war die sicherste Alternative trotz oder gerade wegen der Umstände. Es gibt viele Diskussionspunkte, sich damit auseinander zu setzen. Das war aber nicht die Absicht des Podcasts. Wir gingen von daher nur kurz auf diese Punke ein.

Wir haben am Bergwerk Prosper Franz-Haniel gestanden und ein Hauch Nostalgie kam auf. Knapp vier Jahre vorher beendete er seine letzte Schicht dort und musste ein neues Leben beginnen. Natürlich waren anschließend noch Aufräumarbeiten in Stollen und Streb zu tun. Danach aber mussten die Bergmänner mit ihrer Arbeit aufhören.

1984 startete Jürgen seine Ausbildung zum Bergmann. Ab 1987 begann dann die Karriere bis hin zum Reviersteiger 2016. Heute ist er zwar kein aktiver Bergmann mehr, aber als Vereinsmitglied für den Seilscheibenpark und im Trainingsbergwerk Recklinghausen trägt er seinen Teil der alten Berufswelt mit Herzensblut bei.

Die Kumpels von Untertage nicht mehr zu sehen hinterließ bei vielen eine traurige Leere. Der Zusammenhalt in einer Zeche ist riesig. Der Beruf des Bergmanns ist mit einem Soldaten im Feld zu vergleichen. Beide passen aufeinander auf, helfen, wo der Kumpel bzw. Kamerad Hilfe braucht, geht zusammen durch Dick und Dünn, geht durch den geschulten Blick des Steigers bzw. Offiziers sozusagen ins Flöz der Ehre bzw. Feld der Ehre und tut sein Menschenmöglichstes um anderen Menschen Energiesicherheit, die Verteidigung der Arbeit am Hobel zu sichern und aufeinander aufzupassen nicht bei der Arbeit umzukommen bzw. die Verteidigung des Landes (wenn es jetzt patriotisch gesehen wird nicht angriffstechnisch) zur Rettung der Menschen hinter der Front.

Für den Bergmann war der Flöz die Front und das Aufpassen auf die Kumpels das Feld der Ehre und Freundschaft, egal woher sie stammten oder welche Sprache sie gesprochen haben. Ob Türke, Pole, Italiener, Slowene, Kroate, Serbe, Russe, Ukrainer, Tscheche, Holländer oder Franzose, da unten im Dunkeln sind alle gleich, alle Kumpels, alle packten gleich an und alle passten aufeinander auf.

Was jetzt etwas übertrieben dargestellt ist, ist allerdings so und kann noch an einem Ort im Ruhrgebiet nachvollzogen werden: Trainingsbergwerk Recklinghausen. (zum nachfolgenden Foto wird es einen Extrabeitrag zum Tag der Offenen Tür geben in den nächsten Tagen!)

 

Dort geht Jürgen hobbymäßig Führungen machen. Er packt überall an und macht sich gerne wieder die Hände schmutzig, wenn es nötig ist.

Das Trainingsbergwerk Recklinghausen ist besonders erhaltungswürdig, weil es nicht wie das Bergbaumuseum die Geräte zeigt, sondern hier können sie genutzt werden. Auch ich habe es in meiner Ausbildung bei der Ruhrkohle 1992 bis 1995 als Ver- und Entsorger in Fachrichtung Abfalltechnik für einige Monate durchlaufen. Allerdings interessierte keinen von uns Neun damals das Trainingsbergwerk. Wir haben nicht verstanden, was wir da sollten. Was wir eher lustig fanden war, dass zum ersten Mal zwei Frauen zugelassen wurden. Ver- und Entsorgerinnen durften dort ausgebildet werden. Die Räumlichkeiten der Kaue wurden wegen ihnen extra geändert. Das war damals eine große Diskussion, weil es nicht erlaubt war Frauen bergmännische Arbeit beizubringen, weil sie Untertage nicht eingesetzt werden durften.

Wir haben damals nicht verstanden, warum wir als Ver- und Entsorger Stempel aus Eiche setzen sollten. Wir wollten irgendwo eingesetzt werden nach der Ausbildung um dem Unternehmen Ruhrkohle AG in Sachen Umweltschutz nützlich zu sein. Wir waren doch für die Müllentsorgung zuständig, die Übertage stattfindet, oder doch nicht?

Im Laufe der Ausbildungszeit allerdings bemerkten wir alle das Zusammenhalten dort. Junge Bergmänner wurden diszipliniert ausgebildet, denn Untertage kann sich keiner Unzuverlässigkeit leisten. Handyempfang gab es eh nicht. Damals gab es sie noch nicht mal. Wir waren begeistert dabei, weil es Spaß machte die Sempexpumpe auseinander zu nehmen und wieder zusammen zu bauen. Bis wir es blind machen konnten.

Unsere Ausbilder hatten nicht immer ein Lächeln auf den Lippen. Sie gingen mit uns Jugendlichen kumpelhaft um, aber auch streng. Auch Jürgen ging diese Ausbildung durch. Denn wenn ein Bergmann Untertage eingesetzt wird, darf er sich keinen Fehler leisten. Natürlich können Fehler passieren, aber im Bergwerk kann es Menschenleben kosten.

Jürgen erzählt am Ende des Podcast von einem Verlust, der ihn in Mark und Bein traf. Ein guter Kumpel, ein guter Freund starb im dunklen Schacht. Jeden Tag lebt ein Bergmann mit der Möglichkeit, dort aus dem Dunkel nicht mehr ins Helle zu kommen. Das Gehirn muss es aushalten. Es muss hochkonzentriert arbeiten Untertage. Der Tod fährt immer mit im Förderkorb. Sofortige „Wetteränderungen“ können eine Methangasexplosion hervorrufen und den Tod von einer ganzen Gruppe von Kumpels nach sich ziehen, wie es oft genug in der Geschichte bis heute immer noch passiert. Im Videopodcast habe ich deswegen am Ende mit dem besonderen Bild der Heiligen Barbara aus dem Trainingsbergwerk eine Schweigeminute eingebaut zur Erinnerung an alle bis heute verstorbenen Bergleute .

Jürgen Jakubeit ist erfreut, dass der Förderturm von Franz Haniel erhalten bleibt und das Areal museal wird. Es gab ellenlange Diskussionen darüber. Jeder Erhalt eines Förderturms kostet viel Geld. Denn sie rosten. Der letzte Förderturm des letzten Bergwerks Deutschlands ist erhaltenswürdig und muss allein der Geschichte wegen erhalten bleiben. Er ist, wie der letzte Förderturm Holland in Wattenscheid, der einmalige Malakoffturm Prosper II, Zeche Hannover in Bochum oder Fürst Leopold in Dorsten, einfach ein wichtiges historisches Markenzeichen unserer Region! Er ist der letzte seiner Art!

Jürgen ist nun 55 Jahre alt. In seinem Blut ist und bleibt er Bergmann! Als Vereinsmitglied kämpft er für die Idee einen Seilscheibenpark zu errichten. Seilscheiben, die von den gesprengten und abgerissenen zukünftigen Fördertürmen zusammen in einer Parklandschaft aufgestellt werden sollen. Ursprünglich sollte es auf dem Gelände von Prosper V in Kirchhellen aufgestellt werden. Aber es ist noch nicht in trockenen Tüchern. Auch das Gelände ist jetzt nicht klar. In dem ehemaligen Bürogebäude wohnen jetzt hauptsächlich Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Geschichte ist also noch nicht zu ende. Es bleibt spannend, ob es diesen in der Welt einzigartigen Seilscheibenpark geben wird und wenn ja, wo er aufgestellt wird.

In vielen Städten des Ruhrgebiets gibt es an den Stellen der ehemaligen Bergwerke Seilscheiben. Nicht überall stehen sie an der Stelle, wo es den Förderturm gab.

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WDR – Bericht mit Jürgen Jakubeit über die letzte Schicht auf Prosper Haniel

Die Geschichte des Ruhrgebiets wird nun seit dem Dezember 2018 neu geschrieben. Das Ruhrgebiet mit den alten Kumpels wird zu einem innovativen Zukunftskonzept mit neuen Berufsbildern, neuen Bereichen aus dem Zusammenhalt vor Ort. Die Städte bauen aus den alten Bergwerksgeländen mit einigen erhaltungswürdigen Gebäuden neue Gewerbegebiete an oder eine Parklandschaft mit Café, wie auf dem Gelände der Zeche Ewald an der Halde Hoheward in Herten. Ein Teil wird ein museales Gelände. Es ist ein wichtiger Teil unserer Heimat, dem Ruhrpott, Ruhrgebiet oder dem „Revier“. Es ist unsere Identifikation. Nicht jeder Einheimische sieht das so, aber ohne Bergbau, kein Stahl, ohne Bergbau kein Handel, ohne Bergbau, kein Straßenbau, ohne Bergbau keine Zechensiedlung, ohne Bergbau keine Zuwanderung, ohne Bergbau keine Vielfalt im Ruhrgebiet. Sie muss für die nächsten Generationen in jeder erdenklichen Form erhalten bleiben. Es muss gezeigt werden können, woraus das Leben von Heute und Morgen in Zukunft entstanden ist und wird.

So war es mir eine besondere Ehre Jürgen Jakubeit interviewen zu können. Ein Mensch, der Zeit seines Lebens Bergmann bleibt – egal, was die Zeit bringt. Wer weiß? Vielleicht wird er in naher Zukunft als Bergmann zur Energiesicherheit rekrutiert, falls Prosper Haniel neu abgeteuft werden muss zur Energiesicherheit Europas. Wenn es auch acht Jahre dauern würde. Er wäre der erste, der die Pranken nehmen würde und auch mit Schüppe in die Grube gehen würde!

Und wer denkt, dass Jürgen nicht der letzte im Bergbau ist, der weiß es natürlich besser. Die Grubenwehr sichert die Stollen ab. Methangase werden täglich geprüft, damit keine Explosionen stattfinden. Trotzdem ist Jürgen, derjenige, der das letzte Kohlenstück aus der Grube geholt hat, somit für mich im Titel der letzte Bergmann. Er ist nur einer, der vielen Grubenhelden, die unser Ruhrgebiet zu dem gemacht haben, was es ist: Multikulturell, Vielfältig, Bunt, Groß, Offen und Kumpelhaft, so wie ich es mit meinem Logo ausdrücke. Wir sagen heraus, was wir denken, so überlebte man Untertage. So überleben wir Übertage hier in unserer Heimat des Ruhrgebiets von Wesel bis Hamm, von Recklinghausen bis Hagen!

Glück auf!

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Fotogalerie

Alle Fotos ©André Brune – enstanden auf dem Vorgelände von Prosper Franz Haniel

Wer mehr über den Seilscheibenpark oder Mitglied im Verein werden möchte:

Informationen werden nachgeliefert. Es gibt leider keine Kontaktadresse im Internet.

Trainingsbergwerk Recklinghausen (mehr Informationen im anderen Blogbeitrag):

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Youtube-Video I Hörbuchlesung I Bildergalerie I Exklusive Lesung der ersten Seiten von Michael Göbel „Oppa erzählt von seiner Lehrzeit von unter Tage“

Ich brauche nicht viel schreiben, denn ihr seht den Text als Bild exklusiv von Michael Göbel weiter unten in der Bildergalerie oder als Youtube-Video. Sein neues Buch „Oppa erzählt von seiner Lehrzeit von unter Tage“ ist die Fortsetzung von „Mein Oppa war Bergmann“, wo der Opa von Fenja über den Bergbau im Ruhrgebiet und seinen eigenen Erfahrungen mit der Arbeit Untertage. Ich kann dieses schöne „Erklär-Buch“ für Jung und Alt empfehlen. Michael Göbel, selbst Bergmann in Rente, weiß wovon er schreibt und selbstverlegt. Ein Autor, der schnell verstanden hat, dass diese Kultur nun nach und nach verschwindet, aber mit seinen Worten einen bleibenden Literatenstern hinterlässt.

Dies ist eine unbezahlte Werbung für ein besonderes literarisches Werk aus dem Ruhrgebiet! Unten befindet sich der Link für den Kauf der Bücher Band 1 und 2. Alle weitere Links befinden sich auf der Podcast-Seite über Michael Göbel.

Um mehr über den Autoren zu erfahren, könnt ihr euch meinen Podcast mit ihm anhören. Hier ist der Link zu meinem Blogbeitrag, damit nicht lange gesucht werden muss: Der Ruhrpottologe trifft auf den Märchenprinzen Michael Göbel – Ruhrpottologe – André Brune

Ich wünsche viel Spaß beim Hören und natürlich empfehle ich es zu kaufen!

Euer Ruhrpottologe André Brune

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Das Buch „Mein Oppa war Bergmann“:

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Teil 2: „Oppa erzählt von seiner Lehrzeit von unter Tage“ – folgt bei Erscheinen in wenigen Tagen

Der Ruhrpottologe André Brune mit Michael Göbel nach unserem Podcast am Heimatmuseum Wanne-Eickel,
wo auch ein Teil seines zweiten Buches spielt – Foto: André Brune